Über das missverstandene „Rücken strecken“


Muskeln können sich zusammen ziehen (= anspannen) und locker lassen (= entspannen).
Wenn sie sich zusammen ziehen, bewegen sie ein/ mehrere Gelenk(e).

In der Regel ist es so, dass immer ein Muskel anspannt um ein Gelenk zu bewegen und ein anderer, der Gegenspieler entspannt, um die Gelenkbewegung nicht zu behindern.
Soll das Gelenk dann wieder in die andere Richtung bewegt werden, arbeiten die beiden beteiligten Muskeln genau anders herum.


Auf dem Bild oben (aus unserem Buch PHYSIO-RIDING mit Sabine Bruns, Verlag Müller-Rüschlikon) sehen wir den langen Rückenmuskel in orange eingezeichnet.

Wenn jemand sagt, „Ich strecke den Rücken“ meint er damit im allgemeinen, dass er sich sehr gerade aufrichtet und dabei der lange Rückenmuskel (der M.longissimus dorsi) gestreckt / gedehnt wird.

Das ist ein Irrtum.
Wenn ich mich sehr gerade aufrichte, spannt mein langer Rückenmuskel an und verhindert damit die Beweglichkeit der einzelnen Wirbelgelenke.
Mache ich das auf dem Pferd, ist es mir unmöglich weich in der Bewegung mit zu schwingen. Mein Sitz wird immer hart, verkrampft und für das Pferd unangenehm sein.

Wenn der lange Rückenmuskel gedehnt werden soll, muss er entspannen und sich dann durch Anspannen der Gegenspieler in die Länge ziehen lassen. Hierbei wird vor allem die Lendenwirbelsäule sehr wohltuend gedehnt.

Dieses Bewegungsmuster wird beim Tai Chi ausgiebig geübt.

Die meisten Menschen, die diese Dehnung in der Lende zum ersten Mal ausprobieren, müssen extrem die Bauchmuskeln anspannen, um den langen Rückenmuskel dehnen zu können. Das kommt daher, dass wir uns in unserem täglichen Leben so ungesund bewegen und das Kräfteverhältnis der Muskeln im Becken/ Bauch und der Muskeln im Rücken nicht mehr im Gleichgewicht ist.

Nach einigem üben kann man wieder den langen Rückenmuskel entspannen ohne dabei krampfhaft mit dem Bauch arbeiten zu müssen, weil die tiefen Beckenmuskeln wieder ordentlich mitarbeiten.

Wenn man das erreicht, spürt man auf dem Pferd, dass man in den Bewegungen super mitgehen kann und dabei mühelos eine gesunde Körperstabilität und die schöne Sitzhaltung bestehen bleibt.

Dieses wird noch unterstützt weil während der Tai Chi -Übungen auch sehr viele kleine Haltemuskeln an allen einzelnen Wirbeln trainiert werden, ohne dass wir das wahr nehmen. Die Arbeit dieser Muskeln fühlen wir nicht bewusst.

Der Körper findet ein echtes Gleichgewicht und kann sehr stabil stehen und sich bewegen, während man das Gefühl hat, dass das alles sehr mühelos passiert.



TIPP:

Üben kann man diese Bewegungsmuster sehr schön im Alltag indem man bei allen möglichen  Aufgaben wie Tisch decken, Betten beziehen, Fenster putzen.... gedanklich den vorderen Muskeln des Körpers (tiefe Beckenmuskeln, Bauchmuskeln, Brustmuskeln) die Aufgabe erteilt, die gesamte Wirbelsäule zu stabilisieren und während die Rückenmuskeln entspannt ausruhen dürfen.

Hilfreich ist es, dabei immer tief und lang aus zu atmen und elastisch die Knie leicht zu beugen, dann findet der Körper fast von selbst zu seiner Stabilität.

PS.: Wer nicht so viel im Haushalt arbeitet kann die gleiche Übung natürlich auch anwenden auf "Pferd putzen, Ausmisten, Weide abäppeln...." 


Kommentare

  1. Liebe Sabine,
    diese Körperübungen lassen sich durch das Tragen von Barfußschuhen und das vermehrte Laufen auf dem Vorderfuß im Alltag noch weiter ausbauen. Wenn wir die Kraft in den Füßen (Sprunggelenke) wiederfinden, können wir uns viel besser bewegen und uns auch viel besser vorstellen, wie ein Pferd sich bewegt. Das habe ich im letzten Jahr für mich herausgefunden. Wer einen guten KungFu-Lehrer hat, lernt wohl ähnliches wie der, der einen guten TaiChi-Lehrer hat...
    ;)
    Liebe Grüße,
    Maren

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen